Ich war erst wenige Monate in München, als meine Freundin und ich in eine Sozialwohnung in Pasing zogen. Bis dahin hatten wir zusammen in einem Zimmer in Wohngemeinschaft mit einer anderen jungen Frau gewohnt (die Freundin eines Freundes meiner Freundin), die eigentlich fast nie zu Hause war. Sie lebte nämlich auf dem Land und zog meistens nur am Wochenende in die Stadt, um „etwas zu erleben“. Wir konnten uns glücklich schätzen, das Zimmer überhaupt bekommen zu haben, weil es auch unter den deutschen Alternativen von damals nicht üblich war, ein Zimmer in einer WG zu zweit mieten zu können (ein bisschen verwöhnt, diese deutschen Alternativen!).
Das Wohnhaus in Mittersendling war bestimmt schon hundertfünfzig Jahre alt. Die Treppen waren aus einem glatten, abgenützten Holz und die Stufen standen schon ganz schief und knarrten bedrohlich, wenn man hinauf- oder hinunterging. Das Gefühl beim Treppensteigen erinnerte mich ein wenig an den Anstieg auf den schiefen Turm von Pisa oder an ein Gebäude von Escher, bei dem man irgendwann nicht mehr weiß, ob die Treppe, auf der man gerade läuft, nach oben oder nach unten führt. Die Wohnung hatte zwei Zimmer und eine kleine Küche dazwischen, direkt hinter der Wohnungstür. In der Küche gab es kein Wasser. Wir hatten nur ein Waschbecken im Flur mit eiskaltem Wasser. Die Toilette war draußen im Treppenhaus, und wir mussten sie uns mit einem grantigen Rentner teilen, der – aus welchem Grund auch immer – die ganze Welt hasste. Zum Duschen oder Baden mussten wir die Eltern meiner Freundin besuchen oder ins Schwimmbad gehen, was im Winter nicht die optimale Lösung war. Wir konnten uns aber nicht beschweren; noch hundert Jahre zuvor hatte fast jeder in der Stadt so gelebt. Gebadet hat man damals wahrscheinlich noch seltener, vielleicht einmal im Monat, wenn überhaupt. Das eigentliche Problem im Winter war jedoch nicht das Baden, sondern das Heizen. In unserem Zimmer hatten wir nur einen winzig kleinen Holzofen, der nie das Zimmer auf eine erträgliche Temperatur erwärmen konnte. Die kümmerliche Wärme, die der Ofen abgab, stieg sofort nach oben und verweilte unter der gut vier Meter hohen Zimmerdecke. Unten auf dem Holzboden stieg die Temperatur auch tagsüber nie über 15 Grad. Nachts, als wir schliefen und keiner das Holz in den Ofen nachlegte, sank rasch die Zimmertemperatur wieder, und am Morgen war es in unserem Zimmer nicht viel wärmer als draußen auf der Straße. Wir mussten außerdem kistenweise Brennholz, das wir im Wald am Stadtrand gesammelt hatten, vom Keller in die Wohnung schleppen. Aber was soll‘s? Wenn man jung und verliebt ist, kann man schon einiges aushalten…
Unsere spätere Sozialwohnung in Pasing, die aus einem Schlafzimmer, einer Küche und einem Badezimmer mit Badewanne und Dusche bestand, empfanden wir schon als eine herrschaftliche Unterkunft, als reinen Luxus. Im gleichen Stockwerk uns gegenüber wohnten während der Woche der Leiter vom Polizeipräsidium Laim-Pasing und seine Frau. Am Wochenende zog dann das ältere Ehepaar immer in ihr Haus auf dem Land, wahrscheinlich um – anders als bei unserer ehemaligen Mitbewohnerin – nichts mehr erleben zu müssen, was durchaus verständlich ist, wenn man jeden Tag mit Straftaten und Ganoven zu tun hat. Sehr nette Nachbarn, die sehr freundlich zu uns waren und keine Vorbehalte gegenüber Ausländern hatten, was damals im Jahr 1984 eine echte Seltenheit war! Die Wohnung befand sich also in einer absolut sicheren Lage in einer Stadt, die sowieso im Vergleich zu Mailand schon genau so sicher war wie ein Panzertresor der Zentralbank. Es ist nicht übertrieben zu behaupten – wie folgende Geschichte auch exemplarisch belegen wird – dass wir während der Zeit in Pasing unter ständiger Beobachtung durch die örtliche Polizei standen.
Bild: © John-Kelly/Shutterstock.com
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