Wer hätte gedacht, dass selbst ein banaler Friseurbesuch zum Gegenstand eines Blogbeitrags hätte werden können? Ein normaler Besuch bei einem normalen Friseur wäre sicher kein Thema gewesen. Was ich aber neulich beim Friseur erlebt habe, war nicht mehr „normal“. Es hätte außerdem auch nur einem Italiener wie mir passieren können, insofern passt der Beitrag dann doch ganz gut in diesen Blog.
Ich war also vor ein paar Tagen beim Friseur und wollte mir die Haare scheiden lassen. Seit ungefähr zwei Jahren gehe ich regelmäßig zu diesem Friseur, nicht, weil er besonders gut oder billig ist, sondern weil er, während er mir die Haare schneidet kaum redet und mich einfach in Ruhe lässt. Nach meinem Umzug vor vier Jahren bin ich zuerst zwei- oder dreimal zu einem anderen Friseur gegangen und dann nie wieder. Es war nicht auszuhalten. Jedes Mal wurde ich mit einer nicht enden wollenden Reihe von Fragen gequält:
„Woher kommen Sie?“
„Wie lange leben Sie schon in Deutschland?“
„Wollen Sie irgendwann zurück nach Italien?“
„Sind Sie verheiratet?“
„Haben Sie Kinder?“
„Wohnen Sie hier in der Nähe?“
„Was arbeiten Sie?“
„Was halten Sie von Ihrem Ministerpräsidenten „bunga bunga“?“
Nach drei oder vier Monaten vergaß er, dass er mir all diese Fragen bereits gestellt hatte und fing wieder von vorne an. Ich kam mir vor wie bei einem polizeilichen Verhör (obwohl ich noch nie das Vergnügen hatte, von der Polizei verhört zu werden, aber so ähnlich stelle ich es mir vor).
Früher, als ich noch gegenüber einer U-Bahn-Haltestelle wohnte, bin ich gerne zu irgendeinem Friseur im Bahnhofsviertel gefahren. Mit der U-Bahn war ich in zehn Minuten am Hauptbahnhof. Die meisten Friseurläden waren billig und vor allem – was mir viel wichtiger war – konnten die Friseure weder Deutsch noch Italienisch. So schnitten sie mir still und schnell die Haare und hatten auch kein Interesse daran, innerhalb von zehn Minuten meine ganze Lebensgeschichte zu erfahren.
Den neuen wortkargen Friseur bei mir in der Nähe zu finden, war nicht leicht gewesen. Anscheinend gibt es hier in der Gegend nur verhinderte Polizisten oder Starfriseure, die nicht einfach nur Haare schneiden, sondern aus jedem behaarten Kopf gleich ein Kunstwerk machen wollen. Und als Künstler möchten sie dann auch bezahlt werden. Ich brauche aber kein Kunstwerk auf dem Kopf. Meine Haare zu schneiden ist außerdem keine allzu schwere Aufgabe, und ich möchte nicht jedes Mal dafür ein kleines Vermögen ausgeben. Wenn mich der Friseur fragt: „Wie soll ich schneiden?“ heißt es meinerseits immer nur: „Kurz!“
„Ja, aber wie kurz?“ fragt mich dann in der Regel der Friseur ein wenig verunsichert.
„Kurz wie … wie beim Militär.“
„Mit der Maschine?“ („Mit Maschine?“ wenn der Friseur Ausländer ist)
„Ja, mit Maschine!“
Diesmal habe ich selbst einen fatalen Fehler gemacht. Ich habe mit dem Friseur eine Konversation begonnen und ihn gefragt, wer all die Pokale, die den Laden schmückten – es müssen bestimmt fünfzehn oder zwanzig gewesen sein – denn gewonnen hatte. Mit Blick auf die vielen Boxerbilder an den Wänden dachte ich, dass der ältere und kräftig gebaute Friseur mit seiner etwas krummen Nase ein ehemaliger Boxer gewesen sein müsste, der in der Vergangenheit viele Turniere gewonnen hätte und jetzt stolz seine Trophäen in seinem Laden präsentiere.
„Haben Sie selbst all diese Pokale gewonnen?“
„Nein, nicht alle. Sie sind aber nicht wertvoll …“
Nach einer langen Pause fragte mich dann der Friseur:
„Sind Sie Engländer?“
„Nein, Italiener.“
Nach einer weiteren Pause, in der er die Haare wortlos weiter schnitt, folgte die Frage:
„Sind Sie von der Mafia?“
Ich verstand seine Frage zuerst nicht, obgleich er sie deutlich auf Hochdeutsch und nicht etwa auf Bayerisch stellte, und musste sie mir ein zweites Mal wiederholen lassen. Mein Hirn hat sich einfach geweigert, sie zu verstehen und mir mitgeteilt, „nein, das kann nicht sein. Du hast dich bestimmt verhört.“
„Wie bitte?“
„Sind Sie von der Mafia?“ wiederholte der Friseur seine Frage etwas langsamer, aber mit den gleichen Worten.
„Wer ist von der Mafia?“
„Sie!“
„Ich?! Wie kommen Sie denn darauf?“
„Wissen Sie, ich habe eine besondere Fähigkeit. Ich kann Menschen durchschauen!“
„Ach so!“
Er macht Witze, dachte ich. Ich drehte mich ihm zu – vorher hatten wir uns beim Sprechen im Spiegel gesehen – und schaute ihn fragend an. Kein Lächeln auf seinem Gesicht, sondern eine bitterernste Miene mit einem Ausdruck, als habe er mir damit sagen wollen: „Mich täuschst du nicht! Ich habe dich sofort erkannt, du Mafioso!“
Es gab keine Möglichkeit, mit diesem Mann ein vernünftiges Gespräch zu führen, das habe ich sofort bemerkt und daher lieber geschwiegen. Was hätte ich ihm denn sagen sollen? „Ich glaube, dass Sie sich trotz ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit doch irren. Nur weil ich Italiener bin, heißt es noch lange nicht, dass ich der Mafia angehören muss.“ „Das kommt bestimmt daher“, habe ich gedacht, „wenn man beim Boxen zu viele Schläge auf den Kopf bekommt. Hoffentlich ist er bald fertig und macht den Mund nicht mehr auf.“
Wir haben beide kein Wort mehr gesagt. Er in der Überzeugung, ein Mafioso würde in seinem Laden sitzen und hätte es auf seine Pokale abgesehen, und ich mit der Befürchtung, ein Wahnsinniger schneidet mir gerade die Haare und wird mir später auch noch mit einem scharfen Rasiermesser die letzten Haare aus dem Nacken und um die Ohren rasieren. Mit einem solchen Rasiermesser wäre es ein Kinderspiel, ein Ohr abzutrennen … Ich hingegen wollte aber doch ganz gerne mit beiden Ohren den Friseursalon verlassen.
Als der Friseur sein Werk vollendet hatte, habe ich bezahlt und bin grußlos gegangen. Nicht einmal „Auf Wiedersehen!“ habe ich gesagt. Das war zwar unhöflich, doch ich wollte diesen Menschen sowieso nicht wiedersehen. Im Nachhinein habe ich es aber bereut, nicht weiter nachgefragt zu haben. Es hätte sich daraus vielleicht beim Friseur mal ein richtig spannendes Gespräch entwickeln können: „Und seit wann haben Sie diese Fähigkeit? Wie können Sie sicher sein, dass sich Ihre innere Stimme nicht täuscht?“ usw. Aber es war nicht mein Tag, und nachdem ich für einen Kriminellen gehalten wurde, war mir nach keiner Konversation mehr zumute. Die treffendsten Fragen fallen mir außerdem immer erst dann ein, wenn eine Diskussion oder ein Gespräch bereits zu Ende ist und ich auf dem Weg nach Hause bin.
So werde ich mir jetzt schon wieder einen anderen Friseur suchen müssen …
Grauenvolle Geschichte. Vielleicht sollten Sie besser in Italien zum Frisör gehen, wenn die dort schweigsamer sind.
Ausserdem: Schiuster bleib bei deinen Leisten!
Schreiben Sie besser auf Italienisch und lassen die Finger von literarischen Ambitionen auf Deutsch.
Hallo Herr Hulend,
ich glaube zwar nicht, dass Oliver Hulend Ihr richtiger Name ist – im Internet liefert Google dazu kein einziges Ergebnis –, ich verstehe aber durchaus, dass die Verfasser solcher Kommentare lieber anonym bleiben wollen.
Entschuldigen Sie bitte, dass ich erst jetzt darauf antworte. Aus Zeitmangel habe ich fast zwei Jahre lang meine Website und den Blog völlig vernachlässigt und die einzigen zwei Kommentare, die im Jahr 2017 geschrieben wurden, übersehen.
Ja, Sie haben recht: Die Geschichte – die wahr und nicht erfunden ist – ist in der Tat grauenvoll. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind in Italien, gehen zum Friseur, der Friseur erfährt, dass Sie Deutscher sind und sagt Ihnen, während er Ihnen die Haare schneidet: „Lei è un nazista, no? L’ho riconosciuta subito, sa, dal tono della voce! È come se avessi un sesto senso nel riconoscere i nazisti …” (Auf Deutsch: Sie sind ein Nazi, oder? Wissen Sie, ich habe Sie sofort am Ton Ihrer Stimme erkannt. Ich habe etwas wie einen sechsten Sinn, mit dem ich Nazis wiedererkenne …“). Gar nicht lustig, oder?
Die hartnäckigen gegenseitigen Vorurteile Italiener = mafioso und Deutscher = Nazi ist das eigentliche Thema des Beitrags und nicht, dass manche Friseure einfach zu viel reden. In der Zeit, als ich in München als Taxifahrer gearbeitet habe (darüber gibt es hier einen Blogartikel), habe ich tausende von Menschen durch die Stadt gefahren. Manche wollten mit mir reden, andere nicht. Mit denjenigen, die reden wollten, habe ich mich auch unterhalten, die anderen habe ich Ruhe gelassen und nicht mit einer Reihe von lästigen Fragen über ihr Privatleben gequält.
Warum wollen Sie mich aber gleich nach Italien zurückschicken (wenn auch nur zum Friseur), wenn ich davon erzähle? Und Sie sind nicht der erste, der mich beim kleinsten Anzeichen einer Kritik an ihrem Land zurück nach Italien schicken würde: „Dann gehen Sie doch nach Italien!“ Wenn Sie wüssten, wie oft ich das schon gehört habe!
Ihnen passt auch nicht, dass ich auf Deutsch schreibe! Einerseits verlangt man von den Ausländern, richtig Deutsch zu lernen, wenn sie in Deutschland leben wollen, um sich hier integrieren zu können. Schreibt dann ein Ausländer, der mit viel Mühe Deutsch gelernt hat, auf Deutsch, wird er dann wiederum aufgefordert, doch lieber in seiner Muttersprache zu schreiben! („Schuster“ schreibt man übrigens ohne „i“).
Von welchen „literarischen Ambitionen“ sprechen Sie eigentlich? Der Blog Italotedeschi & Deutschitaliener ist kein literarischer Blog, und von Literatur ist darin wirklich nirgends die Rede. Wenn Sie auf irgendeiner Seite des Blogs oben rechts auf „Zum ersten Mal hier?“ klicken, könnten Sie folgendes lesen: „Italotedeschi & Deutschitaliener ist ein Blog über Italien, die Italiener, die italienische Sprache und Kultur, die gegenseitige Wahrnehmung von Deutschen und Italienern und ihre gegenseitigen Vorurteile und Stereotypen.“
In einigen Blogartikeln habe ich von meinen Erfahrungen in Deutschland berichtet. In diesem Fall hätte ich natürlich auch schreiben können: „Friseur hält mich ernsthaft für einen Mafioso. Er hat wohl nicht alle Tassen im Schrank.“ Ende der Geschichte. 87 Zeichen. Würde als Tweet passen. Ich wollte aber kein Tweet, sondern einen Blogartikel schreiben.
Da sich Erfahrungen nicht direkt übertragen lassen, muss man sie zuerst in Worte fassen und ihnen eine sprachliche Form geben (die nicht unbedingt eine literarische Form sein muss). Bei der Friseur-Geschichte wollte ich außerdem versuchen, die Absurdität und die unfreiwillige Komik der Situation darzustellen. Das habe ich mit den einfachen sprachlichen Mitteln getan, über die ich verfüge. Da sich der Blog hauptsächlich an deutsche Leser wendet, habe ich auf Deutsch geschrieben. Ich wollte aber kein literarisches Werk schaffen, sondern nur erzählen und dabei, wenn möglich, die Leser auch ein wenig unterhalten. Daher die ironischen Bemerkungen. Ironie ist aber auch eine geistige Haltung und nicht ausschließlich eine in der Literatur verwendete rhetorische Figur. Mit ein wenig Ironie lässt sich im Leben viel ertragen. Auch manche Kommentare wie Ihren.
Ohne es zu wissen, haben Sie dennoch einen sehr guten und vor allem authentischen Beitrag zum Gegenstand des Blogs geliefert! Insofern vielen Dank dafür!
Cordiali saluti
Silvano Zais
Ciao Silvano,
ja der Oliver, ist schon ein ganz lustiger… Hulend… er hätte mal besser ein e nach dem H noch machen sollen. Denn zum heulen ist das, was er schreibt.
Dein deutsch ist übrigens besser als das vieler Deutscher, auch das vom Herrn Hulend. Du hättest z.B. keinen Schiuster aus einem Schuster gemacht.
Wahrscheinlich, hat er den Artikel noch noch nicht mal ganz gelesen, aber Hauptsache ständig Pizza essen gehen.
Wer sich in der Anonymität des Internet’s versteckt, keine Anrede kennt, seine Meinung (die er ja gerne vertreten kann) mit Beleidigungen äußert, der hat leider das Lebens- und Bildungsniveau zweier leerer Bierdosen.
Also Silvano, nicht von so einer braunen Bierdose, das bloggen madig machen lassen :)
tanti saluti Marco
Übrigens, sehr unterhaltsamer Beitrag.
Werder grauenhaft, noch sonst irgendwas. Sogar etwas lustig, da ich mir es bildlich vorstellen kann.
Aber wie gesagt, manche haben scheinbar nicht das Niveau, die Geschichte auch annähernd zu verstehen.