Kaum zu glauben, was für seltsame Anrufe ein Anbieter von Italienischkursen, Übersetzungen und sonstigen Sprachdiensten in Deutschland bekommt!

Als ich mich selbständig gemacht habe, habe ich meine Italienischschule mit sehr viel Ehrgeiz, ja sogar mit einer guten Portion an Größenwahn – das gebe ich zu – „Istituto Leopardi“ genannt (nach Giacomo Leopardi, einem der größten italienischen Dichter). Ich wollte nicht nur Sprachdienstleistungen anbieten, sondern mit der Zeit auch ein richtiges Zentrum für italienische Kultur in München aufbauen und womöglich dem staatlichen Italienischen Kulturinstitut, dessen Kulturprogramm mir so belanglos und langweilig vorkam, Konkurrenz machen. So bekam ich eines Tages folgenden Anruf:

– Istituto Leopardi, Zais, Guten Tag!
– Guten Tag, S… mein Name. Kann ich bitte mit Herrn Leopardi persönlich sprechen?
„Das kann doch nicht wahr sein!“, denke ich mir kopfschüttelnd. Ohne lange zu überlegen antworte ich:
– Meinen Sie Herrn Giacomo Leopardi?
– Heißt der Herr so?
– Ja, er hieß so. Ich befürchte, es wird wohl nicht gehen: Herr Leopardi ist tot!
– Oh, das tut mir aber leid. Das habe ich nicht gewusst …
– Machen Sie sich keine Sorgen! Es ist nicht so schlimm … Wissen Sie, seit Giacomo Leopardi tot ist, sind inzwischen fast zweihundert Jahre vergangen. Vor einigen Jahren wurde in Recanati sein 200. Geburtstag gefeiert.

Giacomo Leopardi

– Ach so?! (Der Dame am Telefon wurde es auf einmal sehr peinlich) Ähm, dann entschuldigen Sie bitte die Störung und auf Wiederhören.
– Auf Wiederhören und einen schönen Tag noch.

Ich gebe es zu, es war nicht sehr nett von mir. Manchmal sitzt mir bei solchen Gelegenheiten einfach der Schalk im Nacken. Aber stellen Sie sich mal vor, jemand würde in Rom beim Goethe Institut anrufen und nach Wolfgang  Goethe fragen oder in Mailand das Cervantes Institut und nach Herrn Cervantes verlangen.

„Guten Tag, ist Herr Goethe, Johann Wolfgang von Goethe, zu sprechen? Nicht? Wann kann ich ihn bitte persönlich erreichen?“

„¡Hola! ¿Podría hablar con el señor Miguel de Cervantes, por favor?“

Eine weitere Anruferin war aber schon ein klarer Fall für den Psychiater …

– Istituto Leopardi, Zais, Guten Tag!
– Leopardi! Sie nennen sich Leopardi! Leoparden sind Raubtiere! Sie gehören auch zu den Mördern, die Jesus umgebracht haben!
Ohne dass ich auch nur ein Wort hätte sagen können, fing die Dame am Telefon an zu schreien und mich zu beschimpfen:
– Mörder! Mörder! Sie sind auch ein Mörder!

Völlig irritiert und verblüfft habe ich aufgelegt und war anschließend ein gute halbe Stunde nicht mehr fähig, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Noch immer hatte ich das Geschrei der Frau im Ohr: „Mörder! Sie sind ein Mörder!“

Aus einem mir unbekannten Grund muss ich zu jener Zeit auf die Liste einer militanten christlichen Sekte geraten sein, in der bekehrungsbedürftige Menschen aufgeführt wurden. In regelmäßigen Zeitabständen standen nämlich während meiner Bürozeit zwei – jedes Mal unterschiedliche – Missionare vor meiner Tür und wollten mit mir über die Bibel oder andere erbauliche Themen sprechen: „Guten Tag! Wir möchten gerne mit Ihnen über Gott reden!“ Erst Jahre später, nachdem ich die Geduld verloren und die Möglichkeit einer Strafanzeige erwähnt hatte, wurde ich endlich in Ruhe gelassen. Wenn auch widerwillig mussten die christlichen Stalker meine zur ewigen Verdammnis bestimmte Seele endgültig ihrem Schicksal überlassen.

Auch unter den Leuten, die sich bei uns bewerben möchten, gibt es jede Menge seltsamer Anrufer. Hier sind zwei Beispiele dafür:

– ItalLingua, Zais, guten Tag!
– Guten Tag, ich heiße XY, bin Schweizer, zweisprachig aufgewachsen und möchte mich bei Ihnen bewerben.
– Als was möchten Sie sich denn bewerben?
– Als Übersetzer.
– Und haben Sie schon als Übersetzer gearbeitet?
– Nein, aber ich bin doch Schweizer!
– Also, dass Sie Schweizer sind, bezweifle ich nicht. Das merkt man schon an ihrem Akzent. Aber bei allem Respekt Ihnen und Ihren Landsleuten gegenüber glaube ich nicht, dass alle Schweizer geborene Übersetzer sind. Was uns betrifft, arbeiten wir nur mit hauptberuflichen Übersetzern zusammen, die eine entsprechende Ausbildung und jahrelange Berufserfahrung vorweisen können.
– Auch wenn ich zweisprachig aufgewachsen bin?
– Auch dann nicht, wenn Sie noch nie übersetzt haben

– Good morning! I would like to ask you [auf Englisch], ich wollte fragen, ob ich mich bei Ihnen als Italienischlehrerin bewerben kann.
– Können Sie Deutsch sprechen?
– Nein, noch nicht. Ich bin erst seit einer Woche in München.
– Va bene, allora possiamo anche parlare in italiano [auf Italienisch weiter] Gut, dann reden wir doch auf Italienisch weiter. Aber wie wollen Sie Ihren deutschen Kursteilnehmern die italienische Grammatik erklären und beibringen, wenn Sie kein Deutsch können? Na gut, Deutsch kann man sicher noch lernen … Haben Sie schon als Italienischlehrerin gearbeitet?
– Ich habe letztes Jahr in Rom zwei Monate lang im Rahmen eines Sozialprojektes nigerianischen Prostituierten auf Englisch Italienisch unterrichtet …
– Nigerianischen Prostituierten?! Auf Englisch? Ihr soziales Engagement ist wirklich bewundernswert, aber ist das alles, was Sie als Lehrerfahrung vorweisen können?
– Im Moment ja, aber die Arbeit als Lehrerin macht mir wirklich sehr viel Spaß.
– Es tut mir leid, aber ich befürchte, das wird wohl nicht reichen.

Es gibt immer wieder auch Leute, die ItalLingua mit einem kostenlosen telefonischen Übersetzungsdienst verwechseln. Sie rufen an und bitten mich, schnell ein paar kurze Sätze ins Deutsche oder ins Italienische zu übersetzen. Meistens, wenn ich gerade Zeit habe, mache ich das auch. Es ist aber sehr mühsam, wenn jemand, der kein Italienisch kann, mir am Telefon einen italienischen Text vorliest. Ich verstehe kein Wort und muss mir den Text abschnittsweise mehrmals vorlesen lassen. Ein Anrufer bat mich einmal um die Übersetzung einer Inschrift, die er irgendwo in Italien auf einem Tor fotografiert hatte. Keine Ahnung zu welchem Zweck er die Übersetzung brauchte. Ich habe ihn auch nicht danach gefragt.

Dann gibt es auch Leute, die eine Übersetzung aus dem Kroatischen ins Türkische oder aus einer ähnlich exotischen Sprachkombination benötigen. Wie sie auf meine Telefonnummer kommen, ist mir schleierhaft.

Der zeitlich letzte seltsame Anruf, den ich vor drei oder vier Monaten erhalten habe ist, klang ungefähr so:

– Guten Tag. Können Sie mir sagen, wo man hier in München „Tarantella“ tanzen lernen kann?
– Ich glaube, Sie haben sich verwählt. Das hier ist doch keine Tanzschule!
– Das weiß ich, aber vielleicht können Sie mir trotzdem weiterhelfen.
– Das würde ich auch gerne tun, wenn ich es nur könnte. Aber es tut mir leid, ich habe wirklich keine Ahnung, wo man in München Tarantella tanzen lernen kann. Vielleicht fragen Sie mal beim italienischen Kulturinstitut nach. Die können Ihnen sicher weiterhelfen. Die sind nämlich für die italienische Kultur im Ausland zuständig.
– Dort habe ich bereits angerufen und sie haben mir Ihre Telefonnummer gegeben.
– Meine Telefonnummer? Das ist ja lustig. Wie kommen diese Witzbolde denn dazu?

Es ist beinahe so, als würde jemand in Rom bei einer Niederlassung von BMW anrufen und fragen, ob sie wüssten, wo man dort den Schuhplattler-Tanz lernen kann.

Bilder: 1) von Colin Hines www.ColinHinesPhotography.com (Eigenes Werk) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/), via Wikimedia Commons

2) Giacomo Leopardi (1798-1837), ritratto di A. Ferrazzi del 1820 (Public Domain)